Aufbruch in eine neue Ära

Wie alles begann: Erste Stars, die ersten Deutschen Meister, Beginn der Berichterstattung in Hörfunk und Fernsehen. Die Bundesliga-Spielzeiten 1963/64 bis 1972/73.

Text: Roland Zorn

Dabei sein ist alles. Dem olympischen Motto voller Neugier folgend, machte ich mich, damals 18 Jahre alt, am 24. August 1963, einem sommerlich-sonnigen Samstag, auf den Weg von meinem Chiemgauer Ferienort Endorf in die bayerische Landeshauptstadt München, wo am frühen Abend um 17 Uhr im Stadion an der Grünwalder Straße eine von bundesweit acht Premierenfeiern auf dem Spielplan stand. Die neue Fußball-Bundesliga drehte mit ihren damals 16 Mannschaften ihre erste Runde in der Bundesrepublik Deutschland. In München stand das Duell zwischen dem süddeutschen Spitzenclub TSV 1860 München und den Norddeutschen von Eintracht Braunschweig an.

Ab der Saison 1967/68 darf erstmals ein Akteur ersetzt werden. Erster eingewechselter Spieler ist Torhüter Erhard Schwerin vom Hamburger SV (links).
Foto: Witters

Ich war voller Vorfreude dabei und erwarb, da das Stadion mit 35.000 Zuschauern gut gefüllt, aber nicht ausverkauft war, an einem der Kassenhäuschen problemlos für drei D-Mark eine Eintrittskarte in das neue deutsche Fußballparadies. Was ich dann sah, war indes ziemlich profan. Die beiden vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) in die neue Eliteliga beförderten Clubs kamen nur selten dazu, ihre kreativen Möglichkeiten auszuspielen, und trennten sich am Ende nach den Treffern der beiden Angreifer Rudi Brunnenmeier (17. Minute) und Klaus Gerwien (74.) 1:1.

Ich war zumindest auf einem Stehplatz dabei an diesem historischen Tag ohne das ganz große Spektakel, an dem vier der acht Spiele 1:1 endeten. Und sah live einen der nur drei ausländischen Spieler dieser Premiere neben dem Österreicher Wilhelm „Willi“ Huberts (Eintracht Frankfurt) und dem Niederländer Jacobus „Co“ Prins (1. FC Kaiserslautern): Petar Radenkovic. Der 1860-Torhüter aus dem damaligen Jugoslawien entwickelte sich zum ersten Entertainer der neuen Bundesliga, weil er mit Ausflügen samt Ball bis in die gegnerische Spielhälfte verblüffte und obendrein mit dem Schallplattentitel „Bin i Radi, bin i König“ und auch als Buchautor erfolgreich war.

Der erste Deutsche Meister kommt aus Köln

Manches lief, wie so oft bei Premieren, auch schief. So in Bremen, wo der Dortmunder Stürmer Friedhelm Konietzka beim 3:2-Heimsieg des SV Werder schon nach 58 Sekunden das 1:0 für die Borussia schoss – und kein Fotograf oder Kameramann die Torpremiere der Bundesliga dokumentierte. Immerhin deutete der von vielen zum ersten Titelanwärter auserkorene 1. FC Köln mit einem 2:0-Erfolg beim späteren Absteiger 1. FC Saarbrücken an, dass die Rheinländer, angeführt von Hans Schäfer, 1954 einer der deutschen Sensationsweltmeister von Bern, mit ihrer Favoritenrolle würden umgehen können. Das erste Tor auf dem langen Weg zum großen Glück schoss der 19 Jahre alte offensive Spielgestalter Wolfgang Overath, elf Jahre später einer der deutschen Weltmeister von 1974 (siehe auch Interview dazu auf dfl.de).

Uwe Seeler (Foto) vom Hamburger SV wird in der Premierensaison mit 30 Treffern Torschützenkönig.
Foto: Witters

Die mit einem nahezu aristokratischen Fußball dominierenden Kölner, in ihren blüten-weißen Trikots an Real Madrid erinnernd, standen schon am drittletzten Spieltag als erster Deutscher Meister der neuen Bundesliga fest: nach einem 5:2-Sieg über Borussia Dortmund, den Titelverteidiger und letzten Champion der regional aufgeteilten Oberliga-Ära. Die Kölner triumphierten unter dem Patronat ihres visionären Präsidenten Franz Kremer, der jahrelang das Projekt Bundesliga gegen den zähen Widerstand vieler nord- und süddeutscher Kollegen vorangetrieben hatte: bis zur Realisierung per deutlichem Mehrheitsbeschluss beim DFB-Bundestag im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhallen am 28. Juli 1962.

Und nun war Kremers Traum endlich deutsche Fußballwirklichkeit. Die Bundesliga war die Basis, sich im internationalen Wettbewerb mit den etablierten Profiligen in England, Spanien und Italien behaupten und auch durchsetzen zu können. Es dauerte dennoch Jahre, ehe die besten Bundesliga-Profis hierzulande den Lebensunterhalt mit ihren Künsten am Ball verdienen konnten – etliche Spieler waren zunächst weiter in ihren erlernten Berufen tätig. Nur herausragende Akteure wie der Hamburger Uwe Seeler, mit 30 Treffern Torschützenkönig der ersten Bundesliga-Saison, bildeten die Ausnahmen.

Anfänge der Berichterstattung im Hörfunk und Fernsehen

Gleiche Startbedingungen für alle – das hatte auch zur Folge, dass sich in der neuen Liga, in der Trikotwerbung noch kein Thema war, zunächst keine erkennbare Hierarchie bildete. Vom ersten Spieltag der ersten Bundesliga-Saison zeigte nur „das aktuelle sportstudio“ des ZDF am späten Abend Bewegtbilder von zwei Spielen. Die ARD-„Sportschau“ berichtete am Regelspieltag Samstag, als die Spiele der Premierensaison zu 14 verschiedenen Anstoßzeiten begannen, anfangs gar nicht.

Einen ersten Bundesliga-Fernsehvertrag zwischen den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern und dem DFB gab es erst 1965. Um aktuell auf Ballhöhe zu bleiben, lauschten Millionen Fußballfans samstags der Hörfunkkonferenz von allen Schauplätzen – und sie hörten von Deutschen Meistern aus allen Teilen des Landes. Vom 1. FC Köln über den SV Werder Bremen, Eintracht Braunschweig, den TSV 1860 München sowie den 1.FC Nürnberg, Champion 1968 und Absteiger 1969, den 1965 mit Borussia Mönchengladbach gemeinsam aufgestiegenen FC Bayern München bis hin zu den Gladbachern, die 1971 als erste Bundesliga-Mannschaft ihren Titel vom Vorjahr verteidigten, ehe dann die Bayern wieder an der Reihe waren und dank ihrer Stars Franz Beckenbauer, Paul Breitner, Sepp Maier, Gerd Müller oder Uli Hoeneß ihren nationalen Titelanspruch immer öfter anmeldeten.

Mit einem 5:1 in einem „Endspiel“ gegen Verfolger FC Schalke 04, dem ersten Bundesliga-Spiel im Olympiastadion, sichert sich der FC Bayern München die Deutsche Meisterschaft. 101 erzielte Treffer bedeuten einen bis heute gültigen Torrekord.
Foto: imago/Pressefoto Baumann

Dem Ligastart in ihr zweites Dezennium ging 1971 indes ein großer Skandal voraus, als Clubs in der Rückrunde Spiele „kauften“ und Spieler im Gegenzug die Hand aufhielten. 52 Profis, zwei Trainer und sechs Funktionäre verschiedener Vereine waren in die von der DFB-Gerichtsbarkeit hart bestraften Manipulationen wider die Integrität des Wettbewerbs verwickelt. Der Imageschaden für die Bundesliga war enorm, weshalb das Zuschauerinteresse an der Bundesliga in der Spielzeit 1972/73 auf den Tiefstwert von insgesamt fünf Millionen Besuchern, 16.372 pro Spiel im Schnitt, sank. In dieser Zeit durchlebte die Bundesliga eine schwere Krise und blieb doch so unverwüstlich, dass sie daraus in den goldenen 1970er Jahren rasch wieder herausfand.


Der Autor: Roland Zorn hat als Fußballchef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Bundesliga über Jahrzehnte begleitet. Im DFL MAGAZIN hat er in der Rubrik „Innenansichten“ jahrelang über Hintergründe, Trends und Themen des Profifußballs geschrieben und ist weiterhin als Autor tätig.