„Dazwischen liegen Welträume“– Interview mit Friedhelm Funkel
01.08.2024 – Er ist der Zeitzeuge schlechthin für die Geschichte der 2. Bundesliga. Friedhelm Funkel war 1974 als Profi von Bayer 05 Uerdingen beim Start der neuen Spielklasse ebenso dabei wie in der vergangenen Jubiläumssaison als Trainer des 1. FC Kaiserslautern. Im Interview erinnert sich der 70-Jährige an die Anfänge, und er ist begeistert von der Gegenwart.
Herr Funkel, ist Ihnen bekannt, dass Sie der Einzige sind, der bei der Premiere der 2. Liga 1974/75 und am letzten Spieltag 2023/24 aktiv beteiligt war?
FRIEDHELM FUNKEL: Das war mir, ganz ehrlich, so nicht bewusst, erst jetzt durch die Beschäftigung mit dem Thema kommen viele, vor allem schöne Erinnerungen wieder ins Gedächtnis. Diese Wahnsinnsgeschichte mag man zunächst gar nicht glauben. Dass dieser Bogen anhand meiner Laufbahn, unterbrochen durch Zeiten als Spieler und Trainer in der Bundesliga, über 50 lange Jahre gespannt werden kann, ist außergewöhnlich.
Wie erinnern Sie sich an Ihr erstes Punktspiel in der 2. Liga Nord, damals mit Bayer 05 Uerdingen gegen den SC Preußen Münster?
FUNKEL: Bis heute frage ich mich, warum ich als der mit 20 Jahren Jüngste so viel Verantwortung übernommen habe, einen Elfmeter zu schießen, der zur Führung führte und unseren 3:1-Sieg einleitete. Vor Augen habe ich noch, wie klein unser Stadion war. Die Grotenburg-Kampfbahn hatte nur eine Holztribüne. Gerade in dieser Hinsicht ist das ein Mega-Mega-Mega-Unterschied zwischen damals und heute. Früher haben wir vor mehr oder weniger leeren Rängen gespielt, oft in Stadien, die riesengroß und weit waren, meist mit einer Laufbahn für die Leichtathletik ums Spielfeld, ohne jeden Komfort für die Fans. All das hat sich mit den Jahren ungemein entwickelt.
Zum ersten Spiel in Krefeld kamen 7.000 Fans, zuletzt waren es in Kaiserslautern fast 50.000. Wie erklären Sie sich eine so enorme Steigerung?
FUNKEL: Diese Zahlen sind das klarste Merkmal einer gewaltigen Entwicklung der 2. Bundesliga. Dass in der vergangenen Saison mit fast neun Millionen abgesetzten Eintrittskarten und nahezu 29.000 Fans im Schnitt pro Spiel Rekordwerte erreicht wurden, ist unglaublich. So richtig wurde der Boom durch die Heim-WM 2006 eingeleitet. Seither ist das Interesse in Deutschland am Fußball bei zusätzlich vielen Millionen Menschen noch einmal gestiegen, wurde zum Beispiel der Anteil von Frauen in den Stadien noch mal höher. Das hat auf die 2. Bundesliga abgefärbt, natürlich auch dadurch, dass hier inzwischen mehrere Vereine in WM-Stadien von 2006 spielen. Diese Entwicklung durfte ich teils hautnah miterleben, denn in Köln und Frankfurt wurden die Stadien gerade modernisiert, auch in Rostock war es so – meine Mannschaften spielten auf Baustellen. Mit Eintracht Frankfurt haben wir 2005 unter diesen schwierigen Umständen, die im Ergebnis aber eines der schönsten Stadien überhaupt brachten, dennoch den Aufstieg geschafft.
Aufstiege in die Bundesliga sind Ihnen 1975 und 1979 schon als Spieler mit Uerdingen gelungen …
FUNKEL: 1975 war besonders hart, weil wir als Zweiter der 2. Liga Nord gegen den Zweiten aus dem Süden, den FK Pirmasens, den dritten Aufsteiger in die Bundesliga ermitteln mussten. Hannover 96 und der Karlsruher SC hatten das als Erstplatzierte direkt geschafft. Nach einem 4:4 in Pirmasens gewannen wir zu Hause 6:0.
Wie verlief Ihr Start in den Profifußball, bevor es die 2. Liga gab?
FUNKEL: Im ersten Jahr habe ich mit Uerdingen noch in der Regionalliga West gespielt. Weil der Verein noch nicht sehr lange im Profifußball war, mussten wir unter die ersten Sechs kommen, um uns für die zweigleisige 2. Liga zu qualifizieren, was wir als Dritter schafften.
Und als Trainer sind Sie mit sechs Aufstiegen Rekordhalter: 1992 und 1994 nochmals doppelt mit Uerdingen, 1996 mit dem MSV Duisburg, 2003 mit dem 1. FC Köln, 2005 – wie erwähnt – mit Eintracht Frankfurt und 2018 mit Fortuna Düsseldorf.
Welcher Erfolg war der emotionalste?
FUNKEL: 1992 mit Uerdingen, in meinem ersten Trainerjahr, als Nachfolger von Timo Konietzka. Manager war Felix Magath. Nach meinem schnellen Übergang von der Rolle als Spieler zur ersten Trainerstation war mir noch nicht klar, ob ich meine berufliche Zukunft in diesem Bereich überhaupt absichern könnte oder schnell wieder von der Bildfläche verschwinden würde. Da hilft ein solcher Aufstieg, meine Position im Verein, bei den Fans und Medien wurde gefestigt. So entstand für mich im Trainerberuf eine gute Basis. Bis zu diesem Aufstieg ging es am letzten Spieltag aber dramatisch zu.
Mit welchem Ablauf?
FUNKEL: Um sicher aufzusteigen, durften wir beim FC St. Pauli nicht verlieren. Unser Spiel stand auf Messers Schneide. Und am Millerntor wurde ein falsches Ergebnis durchgesagt: Der SV Meppen führe gegen den VfL Oldenburg, unseren Konkurrenten. Aber auch noch ohne Handy gab es telefonischen Kontakt, wir wussten bald, dass Oldenburg vorne lag. Letztlich reichte uns ein 0:0. Wobei es mehr Nerven kostet, in der Bundesliga um den Klassenerhalt zu kämpfen, als in der 2. Bundesliga um den Aufstieg zu spielen.
Warum?
Funkel: Schafft man den Sprung nach oben nicht, ändert sich in der Regel wenig. Stieg man früher aber aus der Bundesliga ab, ging es oft um die Existenz des Vereins. Im Vergleich dazu sind die Clubs heute wirtschaftlich besser aufgestellt. Früher wurden Absteiger häufig durchgereicht. Nun wird manches abgefedert, bleiben etwa Gelder aus Sponsoring und Ticketverkauf im Gegensatz zu früher meist nahezu gleich.
Welche weiteren Entwicklungsschritte gab es seit den Anfängen?
Funkel: Die Unterschiede zu heute lagen schon bei der damaligen Kaderstärke von nur 16 bis 18 Feldspielern, mit einem Trainer und einem Cotrainer – die Zahl der Spieler, aber vor allem der Trainer- und Betreuerstab ist heute viel größer. Dazu ist die mediale Welt regelrecht explodiert. In den 1970er Jahren hat uns zu Auswärtsspielen manchmal nur ein Journalist begleitet. Nun wird längst jedes Spiel der 2. Bundesliga live übertragen. Mit eigenem Logo und eigener Meisterschale genießt die 2. Bundesliga einen höheren Stellenwert. Von der Vermarktung her, wie dem Mehr an Fernsehgeldern für die 2. Bundesliga, sind die Voraussetzungen gegenüber früher ganz anders. Dazwischen liegen Welträume, nicht nur Welten.
In der Saison 1978/79 beispielsweise, als die 2. Bundesliga noch separat vermarktet wurde, betrugen die TV-Einnahmen 1,344 Millionen D-Mark – für alle 40 Clubs in den Gruppen Nord und Süd zusammen, für jeden Verein also knapp 34.000 D-Mark in dieser Saison.
FUNKEL: Davon blieb vermutlich nicht viel übrig. Aber es waren auch andere Zeiten. Aus meinem ersten Vertrag in der 2. Liga bekam ich im Monat 400 D-Mark brutto Grundgehalt plus Prämien. Wobei es für uns in Uerdingen zusätzlich ein Arbeitsverhältnis mit der Bayer AG gab. Bis zwölf Uhr mittags mussten wir ins Werk, ich war im kaufmännischen Bereich tätig.
Wie kamen Sie nach Uerdingen?
FUNKEL: Mit 19 Jahren vom VfR Neuss, obwohl es auch ein Angebot unseres ersten Zweitligagegners Münster gab. Für Uerdingen habe ich mich wegen der Nähe zu Neuss entschieden. Nach Krefeld sind es nur 18 Kilometer. Bei der Beschäftigung mit dieser Anfangszeit fallen mir mehr und mehr Namen von damals ein, von später jahrzehntelangen Weggefährten. Um nur einen vom 1. Spieltag 1974/75 zu nennen: „Kalli“ Feldkamp, Trainer von Wattenscheid 09, mit dem ich dann in Uerdingen und Kaiserslautern zusammengearbeitet habe und noch immer in Kontakt stehe.
Trainer und Spieler haben die neue 2. Liga sicherlich begrüßt. Die Kluft zur Qualität der Bundesliga sollte kleiner werden. War Ihnen das bewusst?
FUNKEL: Wirklich Gedanken haben gerade wir Jungen uns darüber nicht gemacht. Die Einführung der 2. Liga war für uns eher mit dem Umzug aus einem Einzimmerapartment in eine Zweizimmerwohnung zu vergleichen. Dass sich in 50 Jahren eine solche Entwicklung ergeben würde, war damals nicht vorstellbar.
Herr Funkel, vielen Dank für dieses Gespräch.
DER AUTOR Michael Novak war langjähriger Chefredakteur des BUNDESLIGA MAGAZINs (heute BUNDESLIGA – Das Magazin der DFL) und Leiter PR der DFL.