„Demokratie ist mühsam“ – „Aber sie ist es wert“

Franziska Fey und Marcel Reif im Doppelinterview für die neue Ausgabe von BUNDESLIGA.
Foto: Fritz Beck

20.2.2025 – An einem Januarmorgen 2025 treffen sich die Vorstandsvorsitzende der DFL Stiftung Franziska Fey, und Marcel Reif, Sportjournalist, Kommentatorenlegende und Kuratoriumsvorsitzender der DFL Stiftung, zum Doppelinterview im Münchner Hotel The Charles.

Zwei Tage zuvor hat der Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht, 80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Zugleich fällt das Treffen in eine Zeit, in der Rechtsextremismus, Populismus und Fake News weltweit auf dem Vormarsch sind. Zwölf Prozent der Deutschen im Alter von 18 bis 29 Jahren haben laut einer Studie der Jewish Claims Conference das Wort „Holocaust“ noch nie gehört. Im Gespräch geht es um den Zustand der Demokratie, bedenkliche Tendenzen auf TikTok und in weiteren sozialen Netzwerken sowie die Kraft des Fußballs. 

Frau Fey, Herr Reif, machen Sie sich Sorgen um die Demokratie?

Franziska Fey: Ja, persönlich bin ich beunruhigt. Und dass es Anlass dafür gibt, lässt sich leider auch belegen. Bei der DFL Stiftung beschäftigen wir uns regelmäßig mit Studien zur politischen Situation. Sie alle zeigen eine starke Zunahme an Ressentiments, an Antisemitismus und Flüchtlingsfeindlichkeit – in West- und Ostdeutschland. Die Demokratie ist unter Druck.

Marcel Reif: Es gibt unzweifelhaft eine Verunsicherung bei vielen Menschen, die sich Sorgen machen. Aus Sorgen werden Ängste. Und, das lehrt schon die Geschichte: Dann kommt schnell jemand um die Ecke und sagt, er könne dabei helfen. Jetzt sind wir bei „Tabubrüchen“. Es sitzt eine rechtsextreme Partei im Bundestag. Das war und ist ein Tabubruch. Aber die wirst du nur thematisch stellen können. Die Parteien der Mitte, die nicht mit den einfachen Lösungen um die Ecke kommen, weil es die einfachen Lösungen gar nicht gibt, die müssen ihren Job machen. Sorgen macht mir, dass irgendwann der Kompromiss – als Eckpfeiler der Demokratie – nicht mehr möglich sein könnte.

Es gibt auch Studien, die zeigen, dass in Deutschland die Zufriedenheit mit der Demokratie weniger ausgeprägt ist als bei einigen europäischen Nachbarn, besonders in Ostdeutschland sind die Werte niedrig – auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung.

Reif: Es fühlen sich viele Menschen nicht so mitgenommen, wie es unsere Demokratie womöglich verspricht. Alle Menschen sind gleich, es gibt ein Grundgesetz. In Ostdeutschland haben viele nach wie vor das Gefühl, dass andere „gleicher“ sind.

Fey: Es gibt vor allem eine Unzufriedenheit damit, wie Demokratie im Alltag erlebt wird. Das führt offenbar zu dem Wunsch nach einer scheinbar starken Partei, die das alles lösen könnte. Das sage ich auch mit Blick auf junge Menschen. Sie sind verunsichert. Viele von ihnen kennen nur eine Art Dauerkrisenmodus. Sie beziehen ihre Informationen fast ausschließlich aus dem Internet, den sozialen Medien. Dort sind sie unmittelbar mit Fake News, populistischen Inhalten und Desinformation konfrontiert. Das ist eine schwierige Gesamtgemengelage – und kein faires Spiel.  

Hat die DFL Stiftung mit #DEMOKRATEAM auch deshalb eine Kampagne auf TikTok ins Leben gerufen, die besonders junge Menschen für demokratische Werte sensibilisiert?

Fey: Uns ist der Aufklärungs- und Bildungsaspekt wichtig. Demokratie, Teilhabe muss man erlernen, am besten möglichst früh. Es braucht Selbstwirksamkeitserfahrungen, die zeigen: Mein Einsatz lohnt sich. Dafür braucht es Angebote, in der Schule, aber auch außerschulisch. Wir müssen uns alle fragen: Haben wir diese Angebote? Schulen wir genug? Wie wichtig ist uns Demokratie? Als Stiftung fördern wir politische Bildung und haben Jugendliche bisher vor allem offline erreicht, beispielsweise mit unserem Programm „Lernort Stadion“. Das Analoge bildet aber nur einen Teil ihrer Lebenswelt ab. 

TikTok hat allein in Deutschland mehr als 20 Millionen Nutzende, die meisten von ihnen sind junge Menschen.

Fey: Wer mit solchen Angeboten nicht auch auf Social Media aktiv ist, lässt Jugendliche in einer gefährlichen Gemengelage allein. Sie brauchen verlässliche Informationen, Orientierung und die Befähigung, eine eigene Haltung zu entwickeln. Wir nutzen dafür den Zugang über den Fußball, wir haben die Vorbilder und die Reichweite. Wir wollen klarmachen, wofür der Fußball steht: für Demokratie, für Werte wie Toleranz und Miteinander und Fair Play. Auch auf dem digitalen Spielfeld müssen wir dafür einstehen.

Mit der Kampagne „#DEMOKRATEAM – Alles andere ist Abseits.“ möchte die DFL Stiftung auf der Social-Media-Plattform TikTok jungen Menschen demokratische Werte vermitteln.  Im Zentrum steht der TikTok-Kanal der DFL Stiftung TheBeautifulGame. Vor allem für junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren ist TikTok eine sehr wichtige Informations- und Unterhaltungsquelle. Die Plattform hat einen hohen Einfluss auf die Meinungsbildung von Kindern und Jugendlichen.

Herr Reif, wie nehmen Sie als Kuratoriumsvorsitzender der DFL Stiftung diese Entwicklungen wahr?

Reif: Es gehört zum Wesenskern von sozialen Netzwerken, in Blasen unterwegs zu sein. Das ist eher demokratiefeindlich. Aber wir können ja nicht sagen: Wir bleiben da weg, da ist vieles nicht gut. Eine Mehrheitsmeinung oder eine andere Meinung mitzutragen, das lernt man dort sonst ja kaum. Wer gibt den Nutzern denn sonst einen Kompass?

Vor Kurzem hat sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 80. Mal gejährt. Piotr Cywinski, der Leiter der Gedenkstätte, hat rund um den Jahrestag gesagt, es gebe heute wieder einen Populismus, der „absolut zerstörerisch ist für Dialoge innerhalb unserer Gesellschaft“. Hat er recht?

Reif: Das ist die Gefahr. Und da muss man nicht nach Amerika zeigen. Das, was wir in Deutschland erleben, geht auch in diese Richtung. Eine der Grundvoraussetzungen von Demokratie ist, dass ich gewählt und abgewählt werden kann, dass ich scheitern darf, dass es einen Diskurs geben muss. Einen offenen Diskurs. Wenn wir nur noch in Lagern denken, dann bereitet das den Boden für die, die sagen: Ihr macht euch das viel zu kompliziert.

Frau Fey, welche Wirkung erhoffen Sie sich angesichts dessen von #DEMOKRATEAM?

Fey: Es ist schwer zu überprüfen, ob sich durch die Kampagne politische Einstellungen ändern. Wir setzen daher auf quantitative Erhebungen: Engagement, Reichweiten. Wir hatten mehr als fünf Millionen Videoaufrufe in den ersten fünf Monaten. Wir konnten den Diskurs mitgestalten, die Kampagne wurde auch offline verlängert – über digitale Werbeplakate in Städten, an öffentlichen Plätzen, an Bushaltestellen. Was uns sehr freut,­­ ist, wie sehr auch die Clubs engagiert sind. Gleichzeitig erleben wir großes Interesse aus der Stiftungswelt, wo wir nun Ähnliches umsetzen.

Franziska Fey ist seit dem 1. September 2020 Vorstandsvorsitzende der DFL Stiftung, für die sie seit 2015 tätig ist. Von 2018 bis August 2020 war sie dort bereits als „Leiterin Projekte“ für die strategische Themenentwicklung mitverantwortlich. Vor ihrem Wechsel zur DFL Stiftung arbeitete Franziska Fey mehrere Jahre für die Robert Bosch Stiftung.
Foto: Fritz Beck

Der Profifußball als Vorbild, auch in seiner gesellschaftlichen Bedeutung?

Reif: Das ist natürlich ein Spannungsfeld: Ein Profifußball, der sich in diesen Sphären bewegt, muss seine Glaubwürdigkeit behalten. Er ist sicher überfordert, wenn er die gesamte Gesellschaft zusammenhalten soll. Oder alle integrieren, die integriert werden sollen. Aber was ist die Alternative? Demokratie bedeutet auch, Mehrheiten zu gewinnen. Jeder Einzelne, den du über die Wucht und die Strahlkraft des Fußballs zu etwas Richtigem bewegen kannst – das musst du als Erfolg werten. Das ist mühsam. Demokratie ist mühsam.

Fey: Aber sie ist es wert.

Reif: Und sie ist alternativlos.

Fey: In unserer Stiftungssatzung ist von Leistungskraft und Verantwortung die Rede. Aus der besonderen Position des Profifußballs entsteht eine Verpflichtung, eine Vorbildfunktion. Und das bedeutet auch, die Werte, für die man steht, zu verteidigen, wenn sie in Gefahr sind.

Herr Reif, der Profifußball setzt sich seit Jahren gegen Antisemitismus ein. Sie sagen, Sie mögen das Wort „mahnen“ in diesem Zusammenhang nicht. Wie macht man es besser?

Reif: Es gibt in der Demokratie Dinge, die sind verhandelbar. Für die muss ich Mehrheiten organisieren. Und dann gibt es Dinge, die sind unverhandelbar. Mahnen heißt: Ich muss jemanden auffordern. Ich kann aber niemanden auffordern, kein Antisemit zu sein. In der Schule meiner Enkel habe ich mal gesagt: Niemand kann euch verantwortlich machen für das, was damals war. Aber jeder wird euch schuldig sprechen, wenn es sich wiederholt. 

Marcel Reif wird in Polen geboren, lebt dann in Israel. Im Alter von acht Jahren kommt er nach Deutschland. Nach dem Studium beginnt er seine Fernsehkarriere beim ZDF, gibt dort 1986 sein Debüt als Fußballkommentator. 1994 wechselt Marcel Reif zu RTL, 1999 zu Premiere (heute Sky). Bis 2016 arbeitet er beim DFL-Medienpartner. Er wird in dieser Zeit unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.
Foto: Fritz Beck

Ihr Vater hat den Holocaust überlebt. Sie haben bei Ihrer viel beachteten Rede 2024 im Deutschen Bundestag unter anderem einen Satz von ihm zitiert: „Sei ein Mensch“. Später haben Sie erklärt, dass Sie das weitergeben mussten.

Reif: Ich hatte für mich selbst erkannt, welche Wucht und welche Wirkungsmacht diese drei Worte haben. Hinterher wurde ich mal gefragt: Warum haben Sie nicht gesagt: „Sei ein guter Mensch?“ Da habe ich entgegnet: „Merken Sie, wie das auf einmal in sich zusammenfällt?“ Ein Mensch, mit all seinen Fehlern, Irrungen und Wirrungen, mit all seinen Zweifeln und Ängsten: das ist Menschsein. Und „Sei ein Mensch“ ist ein sehr guter Kompass fürs Leben.

Frau Fey, Herr Reif, vielen Dank für dieses Gespräch.