Prof. Dr. Tim Meyer: „Hohe Aufmerksamkeit aller Beteiligten erforderlich“
14.01.2021 – Wie gestaltet sich die Arbeit in der „Task Force Sportmedizin / Sonderspielbetrieb“ derzeit? Prof. Dr. Tim Meyer, Leiter der Task Force, äußert sich zu aktuellen Themen.
Herr Professor Meyer, die ersten beiden Spieltage der Bundesliga und 2. Bundesliga in 2021 sind absolviert. Wie bewerten Sie als Leiter der „Task Force Sportmedizin / Sonderspielbetrieb“ die aktuelle Situation im deutschen Profifußball vor dem Hintergrund der Pandemie?
Prof. Dr. Tim Meyer: Die nach den Weihnachts- und Neujahrstagen von den Clubs gemeldete Zahl der Infektionen lässt in Relation zu der hohen Zahl der COVID-19-Fälle in Deutschland auf eine ordentliche Disziplin bei der Umsetzung der im medizinisch-hygienischen Konzept festgehaltenen Maßnahmen schließen. Zudem konnten offenbar Infektionsketten innerhalb der Clubs vermieden werden. Auf dem Vereinsgelände scheint das Konzept also weiterhin gut umgesetzt zu werden. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass professionelle Sportler bei entsprechenden Schutzkonzepten ihren Beruf ausüben können – nichts anderes machen die Mannschaften der Bundesliga und 2. Bundesliga. Klar ist aber auch, dass weiterhin hohe Aufmerksamkeit aller Beteiligten erforderlich ist, am Arbeitsplatz und im Privatleben. Hier ist jeder Einzelne verantwortlich.
Es ist in der Tat so, dass weiterhin regelmäßig neue Aspekte und Fragestellungen aufkommen – da unterscheidet sich der Sport nicht vom Rest der Gesellschaft.
Wie gestaltet sich die Arbeit in der Task Force derzeit?
Meyer: Es gibt unverändert einen nahezu täglichen Austausch, auf medizinischer Ebene und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von DFL und DFB. Dazu gibt es zum einen regelmäßige virtuelle Meetings, zum anderen bei aktuellen Fragen aber natürlich diverse zusätzliche Gespräche. Zudem tauschen wir uns intensiv mit den Clubs aus, um bei den verschiedensten Fragestellungen und auch bei Einzelfällen zu beraten. Wir haben meines Erachtens von Beginn an gut strukturierte Prozesse aufgesetzt – und diese kontinuierlich weiterentwickelt.
Das Coronavirus bringt ständig neue Entwicklungen und Herausforderungen mit sich. Wie gehen Sie damit um?
Meyer: Es ist in der Tat so, dass weiterhin regelmäßig neue Aspekte und Fragestellungen aufkommen – da unterscheidet sich der Sport nicht vom Rest der Gesellschaft. Und das kann man bei einem neuartigen Virus und erst recht in einer Pandemie auch erwarten. Auch deshalb ist eine hohe Disziplin aller Beteiligten so wichtig. Mal sind die neuen Fragestellungen sehr umfassend, mal etwas schneller zu behandeln. Grundsätzlich bildet das medizinisch-hygienische Konzept, das bereits mehrfach überarbeitet wurde und zu dem es inzwischen auch verschiedene Ergänzungen gibt, in der aktuellen Version 4.0 weiterhin die Grundlage für den Spielbetrieb. Aber wir behalten aktuelle Entwicklungen in Bezug auf das Virus – von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über Fortschritte bei Testverfahren bis zu Mutationen – selbstverständlich im Blick und überprüfen unser Konzept und unsere Protokolle. Denn es gehört zweifelsohne zu den Erkenntnissen der Pandemie, dass Einschätzungen aufgrund der weiterhin dynamischen Lage oftmals eine kurze Halbwertszeit haben und regelmäßig zu überprüfen sind.
Welche Chancen ergeben sich aus der Möglichkeit von Impfungen?
Meyer: Darüber möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht spekulieren. Es gibt eine klare Impfstrategie seitens der Politik. Die DFL hat zuletzt ja bereits erklärt, dass das funktionierende Task-Force-Konzept unter den bekannten besonderen Umständen seit Monaten auch ohne Impfungen der Spieler Grundlage für den Spielbetrieb ist. Außerdem haben die bundesweiten Impfungen erst kürzlich begonnen, und angesichts der klar geregelten – und von mir auch als richtig angesehenen – Priorisierung von Personengruppen im Rahmen der Impfstrategie ist kurzfristig keine Impfung von Fußballspielern zu erwarten. Aus dem Profifußball habe ich keine anderslautenden Stimmen vernommen. In der Task Force werden wir die Entwicklungen in Bezug auf Impfungen selbstverständlich intensiv beobachten.
Bei einer so neuen und nur begrenzt erforschten Erkrankung wie der COVID-19-Infektion muss man natürlich besondere Vorsicht walten lassen.
Wie beurteilen Sie die Rückkehr von Spielern auf den Platz nach überstandener COVID-19-Erkrankung?
Meyer: Klar ist, dass es dabei – wie auch nach der Rückkehr auf den Platz nach Verletzungen oder anderen Erkrankungen – verschiedene medizinische Aspekte zu beachten gibt. Bei einer so neuen und nur begrenzt erforschten Erkrankung wie der COVID-19-Infektion muss man natürlich besondere Vorsicht walten lassen. Die Entscheidung über eine Rückkehr eines Spielers in den Trainings- oder Spielbetrieb nach Verletzungen oder Erkrankungen ist eindeutig eine Angelegenheit zwischen Clubs als Arbeitgebern und Spielern als Arbeitnehmern, unter Berücksichtigung aller medizinischen Aspekte. Das ist gut und richtig so – denn derartige Entscheidungen lassen sich nur auf Basis entsprechender Untersuchungen und Eindrücke vor Ort treffen.
Gibt es für diese Entscheidungen eine Empfehlung?
Meyer: Die Task Force hat rund um die Wiederaufnahme des Spielbetriebs in der vergangenen Saison den Mannschaftsärzten der Clubs sehr deutlich empfohlen, für eine Entscheidung über die Rückkehr eines Spielers in den Trainings- oder Spielbetrieb nach einer COVID-19-Infektion bestehende Expertenempfehlungen heranzuziehen. Für Deutschland wurden derartige Richtlinien in der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin veröffentlicht. Daran waren führende Experten des Faches beteiligt, die im Alltag ständig mit derartigen Untersuchungen befasst sind. In der Task Force halten wir die Orientierung an diesem Positionspapier, an dessen Erstellung auch ich mich beteiligt habe, für richtig und haben dies den Mannschaftsärzten auch bereits im Mai kommuniziert. Die Publikation wird regelmäßig von den Autorinnen und Autoren und vom Wissenschaftsrat der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention auf Aktualität überprüft, zuletzt wurde unter anderem auf dem vom DOSB organisierten Online-Kongress der Verbandsärzte im November darüber diskutiert. An dieser Stelle sei einmal gesagt, was in der Medizin und anderswo grundsätzlich gilt: Alternative Richtlinien sind nicht zwangsläufig besser, nur weil sie möglicherweise später veröffentlicht wurden oder einen höheren Grad an Komplexität bei der Anwendung aufweisen. Es ist immer sinnvoll, vor allfälligen Änderungen seriös die wissenschaftliche Datenlage und nicht vorrangig prominent kolportierte Fälle zu bewerten. Ich bin nicht vor Ort dabei – aber mein Eindruck aus vielen Rückmeldungen der Kollegen in den Vereinen ist, dass medizinisch sehr sorgfältig bei den Entscheidungen zum Return-to-play vorgegangen wird. Man kann auf Basis dieser Rückmeldungen sagen, dass in der Regel sogar eher mehr Untersuchungen durchgeführt und Fachkollegen hinzugezogen werden, als es den Empfehlungen entspricht. In meiner Wahrnehmung werden die medizinischen Entscheidungen oftmals konservativ gefällt.